Von Max Ruhri
Die gesellschaftliche Entwicklung seit der Renaissance – insbesondere in Mitteleuropa – ist gekennzeichnet von drei grossen Emanzipationsbewegungen: Aufklärung, Industrialisierung und Sozialgesetzgebung. Und jetzt?
Durch die Aufklärung emanzipierte man sich von der Religion. Durch die Industrialisierung machte man sich von der Natur unabhängiger. Durch die Sozialgesetzgebungen und das Versicherungswesen emanzipierte man sich von Dorfstrukturen und Familienzusammenhängen. Die Begleiterscheinung dieser Emanzipation ist eine spürbare Entfremdung von Geist, Natur und primären sozialen Bezügen.
Mit den Emanzipationen befreite man sich von Traditionen, und individuelle Lebenswege, Tätigkeiten und Innovationen traten an ihre Stelle. Dieser schöpferische Individualismus in Verbindung mit der sozialen, ökologischen und geistigen Entfremdung machte eine immer umfangreichere Regulation fast aller Lebensbereiche notwendig, um negative Auswirkungen des zum Teil unverbundenen menschlichen Handelns zu begrenzen. Ökologische und ökonomische Ausbeutung schreiten trotz Regulation in einem hohen Tempo voran. Stärkere und konsequentere Regeln sind notwendig.
Treibende Kraft dieses ökonomischen Systems ist der Eigennutz bzw. die persönliche Nutzenmaximierung. Diese erhält vermutlich ihre starke Kraft durch die Entfremdung und die damit einhergehende Sehnsucht nach Beziehung, die sich beispielsweise im Einverleiben ökonomischer Güter entlädt. Die damit verbundene Ausbeutung fällt umso leichter, da wir sie durch die Komplexität und Fragmentierung der Wertschöpfungsketten nicht wahrnehmen.
Wenn die äussere Regulation voranschreitet, ist die innere Regulation bzw. eigenverantwortliches Handeln und Gestalten verbundener Menschen im Rückzug. Und damit auch die Ordnungen, die sie hervorbringen. Diese traditionellen Ordnungen, wie sie zum Teil über lange Zeiträume gewachsen waren, waren geprägt von sozialer und ökonomischer Stabilität, getragen von einer religiösen bzw. geistigen Tradition. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist in den Kula-Ringen (ein rituelles Gabentausch-System) der Inselwelten von Papua-Neuguinea zu finden, die vor mehr als hundert Jahren von dem Ethnologen Bronislaw Malinowski beschrieben wurden (Bronislaw Malinowski, Argonauten des westlichen Pazifik, Frankfurt am Main 1979, S. 115 ff.)
Nachhaltige Ordnungen, die durch das Handeln in Verbindung stehender Menschen entstehen, sind möglich. Ihre treibende Kraft ist nicht die Selbstoptimierung, sondern das gute Leben in Beziehung mit Mensch, Natur und Geist. Neuerdings manifestiert sich der Geist nicht mehr durch Religionen oder sonstige kollektive Glaubensrichtungen, sondern in der Kreativität und den Impulsen von uns allen als individuelle Menschen. Die sozialen Beziehungen sind nicht mehr geprägt von familiären und dörflichen Abhängigkeiten, sondern vielmehr durch die freie Verbindung mit Menschen, mit denen man verbunden sein möchte. Und auch die Beziehung zur Natur ist auf Basis der Technik eine freiere geworden – wenn auch die Entwicklung des globalen Ökosystems neue Abhängigkeiten schafft.
Wenn wir als Freie Gemeinschaftsbank neben der Einhaltung der auch für uns wichtigen äusseren Regulation die Verantwortung und die Initiativkraft individueller Menschen, sowie die Beziehung zwischen Menschen in den Mittelpunkt der Banktätigkeit stellen, geht es nicht zuletzt darum, eine innere, selbstbestimmte Regulation und die aus ihr resultierenden Ordnungen zu fördern – ganz im Sinne der Aufklärung sind wir so «Unterwegs mit Menschen…»