Von Hildegard Backhaus Vink
Ingrid Schmid Birri und Philipp Birri haben vor 35 Jahren gemeinsam mit zwei anderen Paaren einen besonderen Ort aufgebaut: den BerglandHof Ernen. Das breit angelegte Projekt umfasst heute Mehrgenerationenhaus, Hotel, Veranstaltungsort, Restaurant, Demeter Landwirtschaft, Bioladen und Online-Shop.
Unser eigentliches Anliegen ist das Soziale», umschreibt Philipp Birri die Kernidee, als wir im BerglandHof-Restaurant «Erner Garten» sitzen, umgeben von viel Holz und warmen Farben, in der Mitte ein geölter Baumstamm als Säule. Am Anfang vom BerglandHof Ernen stehen jede Menge Zufälle und viele sprudelnde Ideen.
Die Gemeinschaft
1989 kamen Philipp Birri, Daniela Corbellini und ihr Partner Ruedi Schweizer sowie sein Bruder Stefan und dessen Frau Pia Heller Schweizer auf der Suche nach einem Gemeinschafts-Haus nach Ernen, einem der offiziellen «schönsten Schweizer Dörfer». Stefan Schweizer war als Förster, Philipp Birri als Bauer tätig, beide hatten bereits in der Gegend Arbeit. In Ernen fanden sie nicht nur ein Wohnhaus, sondern Philipp Birri übernahm den Betrieb eines erkrankten Landwirtes – dauerhaft, wie sich nach einiger Zeit herausstellte. Im Dorf lernte er Ingrid Schmid kennen, Poststellenleiterin in der vierten Generation. Die beiden wurden ein Paar und gründeten eine Familie, ebenso wie die anderen beiden Paare.
Von der Landwirtschaft zum Projekt
Im Laufe der Zeit wurde dem mittlerweile gemeinsam betriebenen Hof immer mehr Land zur Pacht oder zum Kauf angeboten. «Wir wollten die Landwirtschaft vonAnfang an nicht nur biologisch betreiben, sondern nach den allerstrengsten Kriterien», erzählt Ingrid Schmid Birri. «So kamen wir auf Demeter.» Um die biologisch- dynamische Landwirtschaft kennen zu lernen, wurden zwei Menschen aus der Gemeinschaft auf den traditionsreichen Demeter Hof La Branche nach Savigny geschickt. Die beiden kamen mit grosser Begeisterung zurück – und mit Büchern von Rudolf Steiner im Gepäck. «Wir haben dann jede Woche gemeinsam den ‹Landwirtschaftlichen Kurs› gelesen», erinnert sich Ingrid Schmid Birri, «manchmal vier Wochen lang an einer einzigen Seite.» Die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners wurde der Gemeinschaft zur Quelle der Inspiration. «Uns hat fasziniert, dass sie Sichtweisen zu individueller und gemeinsamer Entwicklung auf geistigem, rechtlichem und wirtschaftlichem Gebiet bietet», so Philipp Birri. Diese Anregungen individuell für ihr Projekt fruchtbar werden zu lassen, war das Anliegen der Gemeinschaft. Im Austausch mit anderen Menschen entstanden Ideen, wie der Hof weiterentwickelt werden konnte.
Altwerden in Gemeinschaft
Ausschlaggebend aber war eine biografische Situation. Ingrid Schmid Birri erzählt: «Als mein Vater ins Altersheim kommen sollte, haben wir uns gefragt: ‹Wie wollen wir alt werden?›» Das war die Initialzündung für das GenerationenHaus, in dem Menschen inmitten einer Gemeinschaft alt werden können.
Die Ideen sprudelten weiter: Warum nicht das Projekt für viele Menschen von ausserhalb öffnen? Ein Konzept für ein Hotel mit Seminarräumen und Restaurant wurde entworfen, eine neu gegründete Aktiengesellschaft stützte das Projekt in einem breiten Umkreis von Kund:innen und Freund:innen ab. Der Architekt Henning Schulze-Schilddorf erhielt den Auftrag, einen Holzbau im organischen Baustil zu entwerfen. «Es lief auch alles nach Plan, aber einen Tag vor Ablauf der Frist, nach der Bewilligung durch Kanton, Gemeinde und Heimatschutz, erhob der Schweizer Landschaftsschutz Einsprache», berichtet Philipp Birri noch immer fassungslos. «Es ging um eine prinzipielle Frage: Der Kanton müsse zuerst einen Quartierplan erstellen.» Dieser Umweg kostete nicht nur viel Zeit und Geld, sondern auch jede Menge Energie. Aber die Gemeinschaft hielt durch und 2017 war der Holzbau mit Hotel, Wohnungen, Seminarräumen, Restaurant und Verarbeitungsräumen für die Hofprodukte bezugsbereit. Finanziert wurde das umfangreiche Bauprojekt mit der Freien Gemeinschaftsbank. «Die hatten wir an einem Stand an der Landwirtschaftlichen Tagung am Goetheanum kennen gelernt», erzählt Ingrid Schmid Birri. «Wir waren froh, einen Finanzierungspartner gefunden zu haben, der Verständnis für unser Projekt hat und es mitträgt.»
«Wichtig sind uns die Synergien», bringt Philipp Birri das Projekt zum Schluss auf den Punkt. «Die Landwirtschaft produziert für das Restaurant zu fairen Preisen, die älteren Bewohner:innen können sich in Küche, Produktverarbeitung und Landwirtschaft einbringen, ebenso wie die Gäste. Ausserdem bieten wir eine Reihe von Gesundheitskursen und kulturellen Veranstaltungen für das Dorf an. Wir haben viel an unserem Konzept gearbeitet und uns selbst daran weiterentwickelt. Für uns bedeutet der BerglandHof Ernen die Verbindung von äusserem Leben und innerer Entwicklung.»
Erklärt: BerglandHof Ernen
Der BerglandHof Ernen ist als assoziative Unternehmung angelegt. Die Bereiche GenerationenHaus, Hotel, Restaurant, Bioladen und demnächst die Produktverarbeitung sind in einer AG zusammengefasst, die Mitarbeitende beschäftigt. Die Landwirtschaft wird von acht Einzelunternehmer:innen betrieben, die ein gemeinsames Einkommen praktizieren und in einen gemeinsamen Topf wirtschaften, aus dem jede:r nach ihren oder seinen Bedürfnissen Mittel erhält.
Der Demeter Betrieb hat sich auf pro specie rara-Tierrassen spezialisiert, wie das Hinterwälder-Rind, das Walliser Landschaf und das wollhaarige Weideschwein. Neben Hühnern und Pferden leben fünf Maultiere für Maultiertrekking mit Hotelgästen auf dem Hof. Auf den ausgedehnten Wiesen wird eine Demeter Imkerei betrieben. Die zahlreichen Gemüsearten, Kräuter und Gewürze werden zu fair ausgehandelten Preisen an das Restaurant verkauft. Im Online-Shop sind vor allem Tees, Kräuter und Trockengemüse erhältlich. Der Bioladen im Dorf bietet ein breites Sortiment an ökologischen Waren.
Der Massivholzkomplex ist im organischen Baustil erbaut und fügt sich harmonisch in die Formen der Landschaft ein. Beim Bau wurden eine Reihe von baubiologischen und ökologischen Kriterien berücksichtigt. So wurden ausschliesslich einheimische Materialien von regionalen Handwerker:innen verbaut. Das Haus hat eine Photovoltaikanlage und ist an die Fernwärme-Holzschnitzelheizung Ernen angeschlossen. Die Zimmer und Suiten sind mit Hüsler Nest-Betten ausgestattet.
Das GenerationenHaus bietet fünf Wohnungen, von denen zurzeit drei frei sind. Die Zimmer sind barrierefrei, ein elektrisches Pflegebett und WC-Aufsätze sind vorhanden. Es besteht die Möglichkeit, im Therapieraum Therapien zu erhalten oder Pflegehilfskräfte über den Verein «Zuhause leben» zu Hotelpreisen anzustellen. Wöchentlich kommt eine Masseurin ins Haus. Die Bewohner:innen können sich sinnvoll rund um den BerglandHof Ernen einbringen und sind in die Gemeinschaft integriert. Das Hotel bietet nicht nur Platz für Feriengäste, sondern auch für Menschen, die eine Auszeit benötigen, z. B. Angehörige von pflegebedürftigen Personen.
Der BerglandHof bietet zahlreiche Kurse und kulturelle Veranstaltungen an, von Qi Gong und Yoga über Kochkurse, Schreibwerkstätten bis hin zu Ausstellungen und Konzerten.